Die Zeit 2000 bis 2010 - Die Brückenjahre im E-Commerce

19.08.2021 Die Nullerjahre bringen viele Häutungen. Große Player verschwinden, neue entstehen. Martin Groß-Albenhausen, damals Herausgeber und Chefredakteur, erinnert sich.

 (Bild: Pixabay)
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 (Bild: HighText Verlag)
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"Werden wir jemals genug Werbeeinnahmen auf unserer Internet-Seite haben, um damit deren Betriebskosten zu finanzieren?" - dieser Stoßseufzer anlässlich eines ECommerce-Seminars des Versandhausberaters fasst im Jahr 1998 den noch sehr skeptischen Blick des Versandhandels auf die damals "Neuen Medien" zusammen. Irgendwo zwischen Teleshopping und CD-ROM-Katalog samt Bestellfunktion wird das neue Geschäftsfeld verortet. Entweder separat führen oder möglichst ohne Friktion in die bestehenden Prozesse einbinden, lautet die Devise.

Es spricht für Gerhard Kirchner als Chefredakteur des Versandhausberaters, dass er das Thema 1997 erstmals, und in den Folgejahren immer wieder auf die Tagesordnung rückt. Als ich im Januar 2000 die Chefredaktion des Newsletters übernehme, haben wir dezent erneuert: anderes Layout, Kommentarspalte auf der ersten Seite, Kurzmeldungen und argumentativere Texte. Und: immer wieder E-Commerce im Heft. Offenbar für viele keine leichte Kost, wie ein erboster Abonnent bei der bald durchgeführten Leserbefragung konstatiert: "Schreiben Sie nicht so viel über E-Commerce. Damit können wir kein Geld verdienen und diese Firmen haben kein solides Geschäftsmodell."

Nicht lächeln - in der Tat verbrennt damals nicht nur die britische Boo.com Group täglich Geld. Just als wir im selben Frühjahr, im Mai 2000, mit zwei Handvoll VersenderkollegInnen zu einer ECommerce-Reise quer durch Deutschland aufbrechen, implodiert das Unternehmen - die Dot.com-Blase platzt. Webmiles, Primus Online, Ricardo.de - viele Hoffnungen lösen sich in Rauch auf, und leider auch viel Innovationsgeist. Dabei zeigt schon das von uns besuchte Systemhaus Bechtle   , wie ECommerce-Prozesse in ersten Branchen zu massivem, nachhaltigem Wachstum führen.

Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends haben wir beim Versandhausberater vor allem eine Aufgabe: Gemeinsam mit unseren AbonnentInnen über die teilweise wackelige Brücke zu gehen, die die analogen Prozesse mit dem E-Commerce verknüpfen. Obwohl die klassischen Versandhandelsunternehmen mit der "Responsequote" im Direktmarketing sicher umgehen, fällt ihnen die Skalierung der kleinen Schwester "Performance Marketing" schwer. Dazu stürmen neue Technologien und "Protokolle" auf sie ein (erinnern Sie sich noch an WAP?), es werden ganze Viehherden durch die Dörfer getrieben. Und das ist erst der Anfang.

Fast ein Jahrzehnt dauert es, bis zudem die völlig andere Wachstumsauffassung des globalen E-Commerce in Deutschland verstanden wird. Noch fast bis 2010 gilt es als unmöglich, dass Amazon   jemals profitabel wird. Also so richtig - inklusive sämtlicher aufgelaufenen Schulden. Danach ist Amazon die Ausnahme: Aber Zalando   wird das niemals schaffen. Or so they thought. Whose party?

Aber unter dieser kaufmännischen Zurückhaltung, der Ungläubigkeit gegenüber Verrücktheiten ("Wie? Amazon lässt andere E-Retailer in seinem Onlineshop verkaufen? Warum sollten wir die teuer eingeworbene Kundschaft teilen?"), hat es die ganze Zeit mutige UnternehmerInnen gegeben, die Dinge ausprobiert haben. Wir können über Werner Conrads Conrad.com berichten, auch Collorum.de im Sammlerbereich ist ein Thema.

Eine der wichtigsten Entscheidungen nach 2000 für den Versandhausberater ist es, den 1997 von uns begründeten Deutschen Versandhandelskongress/Mail Order World gemeinsam mit dem damaligen Bundesverband des deutschen Versandhandels weiterzuentwickeln. Zeitweilig entsteht dadurch in Wiesbaden Europas größte Kongressmesse für den Distanzhandel. Großartige Partnerunternehmen wie die Deutsche Post   oder Hermes   und zahlreiche weitere SponsorInnen machen es möglich, dem Branchenevent die Klasse zu geben, an die sich auch viele erfolgreiche OnlineunternehmerInnen noch zurückerinnern.

Das Jahrzehnt im Online- und Versandhandel, das ich begleiten durfte, scheint eines der dynamischsten zu sein: Das Jahrzehnt, in dem der klassische Universalversandhandel mit den Big Books an sein Ende kommt. Das Jahrzehnt, in dem das Web 2.0 mit Blogs, Plattformen und Social Networks entsteht. Das Jahrzehnt, in dem Mobile auf einmal attraktiv und geschäftsträchtig wird (auch wenn die Konversionsraten bis heute meist schlechter ausfallen und daher EMail-Werbung und Advertising dort Kopfzerbrechen bereitet). Das Jahrzehnt, in dem IT aus dem Keller in die Chefetage aufsteigt.

Der Versandhausberater begleitet diese Entwicklung - und entwickelt sie mit. In der Verlagsgruppe Rentrop   ist er das kleinste und quirligste Profitcenter, darüber hinaus eines der profitabelsten. Der Versandhausberater steht in dieser Zeit auf drei Säulen: Dem Abonnement-Geschäft, den Veranstaltungen und den Werbeeinnahmen. Redaktionell entwickeln wir um die ehemaligen Kernprodukte (Newsletter und "Verzeichnis des Versandhandels") herum Zusatzprodukte: "VH-Specials" zu Praxisthemen und Branchen-Events, EMail-News-Updates, Fachkonferenzen, den ersten Blog der Verlagsgruppe. 2011 wird es Zeit für den einen Generationswechsel: Mit Stephan Randler übernimmt ein (fast schon) Digital Native die Chefredaktion. Er kommt übrigens vom HighText Verlag, wo er als Volontär und später als ECommerce-Redakteur gearbeitet hat. Das Brückentier, der Digital Immigrant @grobi, wechselt zum Branchenverband bevh   , der selbst ein Jahr zuvor die Geschäftsführung neu besetzt, den Namen geändert und den Standort nach Berlin verlegt hat.

Der "Versandhausberater" hat seinen Abonnierenden in der Dekade die Antwort gegeben: Nein, Werbung im Onlineshop finanziert die Betriebskosten der Website nicht - denn das gelingt durch die Vertriebsumsätze im E-Commerce. Daran hat sich bis heute auch größtenteils nichts geändert.

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